Joseph Lim - Zwischen zwei Welten Zuhause

Samstag, 05. September 2015
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jospeh lim
Joseph Lim beim Interview in seiner Wohnung in Berlin

Dieser Text erschien erstmalig in J'N'C News 2/2015
Interview: Fredericke Winkler, Fotos: Alexander Schneider

Es ist gar nicht so einfach, mit Joseph Lim einen Interviewtermin auszumachen, da sich der Art Director von camel active stets überall und nirgends aufhält. Unser Glück, dass er kürzlich ein paar Tage in Berlin verbrachte und uns zu einer Tasse grünen Tee einlud. Uns überraschte die offene Art und Ausgeglichenheit des Weltenbummlers.

Wir hatten zugegebenermaßen mehr Rastlosigkeit vermutet. Im Gegenteil empfing uns ein Mann, der mit seinen neunundvierzig Jahren die Erscheinung eines Zwanzigjährigen hat und mit ruhiger, fast meditativer Stimme darüber scherzt, dass er als Heimatloser selbst sein eigenes Zuhause ist. Unser Eindruck war, als bewege er sich dabei als dauerhafter Grenzgänger jenseits von Raum und Zeit. Als bestünde seine Lebensaufgabe darin, wie ein Katalysator die Sinnlichkeit und Gesetzmäßigkeit einzelner Orte zu einem universal verständlichen Meta-Ort zusammen zu fügen. Für sich, seine Kunden und an jenem Tag für uns.

Wie lange bist Du schon im Modegeschäft tätig?
Ich habe meine Ausbildung damals bei René Lezard mit zwanzig Jahren begonnen. Also seit neunundzwanzig Jahren.

Was für eine Ausbildung war das?
Als Industriekaufmann, weil ich europäische Betriebswirtschaft studieren wollte. Da war eine kaufmännische Ausbildung Pflicht. Ich hatte mir ein Modeunternehmen ausgesucht, um mal raus zu kommen. Damals war René Lezard noch eine Sechs-Mann-Firma, die nur Herrenhosen angeboten hat. Man war gerade im Aufbau einer Gesamtkollektion Menswear und suchte jemanden, der das Produkt entwickelt. Nach meiner Ausbildung hat mich Thomas Schaefer gefragt, ob ich das übernehmen will. Er meinte, dass er mir in drei Jahren das Gleiche beibringen könnte, was ich in sechs Jahren Studium lernen würde. Daraufhin sagte ich: „Ok, ich kann es ja mal versuchen. Wenn es mir aber nicht gefällt, gehe ich.“ Ich bin dann neun Jahre geblieben.

Und hat er es geschafft, Dir so viel beizubringen?
Ja. Das hat er geschafft. Das Unternehmen war ja noch so klein. Sechs Leute haben ihre Abteilungen aufgebaut und ausschließlich an ihn reportet. Da lernt man schnell und umfassend.

Was kam danach?
Dann bin ich zu FALKE gegangen, um dort die Menswear- und Knitwear-Kollektion zu entwickeln. Ich hatte mich aber schon in meiner Zeit bei René Lezard selbstständig gemacht. Aus dem einfachen Grund, weil ich noch mehr international aktiv sein wollte. Also habe ich mir in Indonesien mit einem eigenen Unternehmen ein zweites Standbein aufgebaut.Wofür bist Du als Art Director von camel active zuständig? Ich bin verantwortlich für die gesamte Außendarstellung: vom Produkt über Marketing bis hin zu Kommunikation und Messen. Ich habe vor elf Jahren bei camel active als Creative Director begonnen, bin jedoch seit sechs Jahren für die Marke als Art Director tätig, was mir erlaubt, viel flexibler unterwegs sein zu können.

Reisen scheint Dir sehr wichtig zu sein. Warum?
Ich will sehr viel Neues sehen. Dinge, die ich noch nicht kenne. Daher reise ich privat auch nur an Orte, an denen ich vorher noch nie gewesen bin. Ich halte es für wichtig, allem mit einer offenen Einstellung zu begegnen. Das erreicht man nur, wenn man permanent etwas Neues sieht. Wenn ich immer nur Bekanntes sehe, habe ich weder eine Vorstellung vom Unbekannten noch kann ich bewerten, wie ich damit umgehe und es verarbeite. Reisen ist also das sinnvollste Werkzeug, um Offenheit zu erlauben. Ich empfehle das ganz klar jedem, um seinen Blickwinkel zu erweitern. In der Mode ist das Reisen natürlich einmal mehr wichtig, da sie sich ja auch permanent verändert und neuen Einflüssen gegenüber steht. Mein Job hat viel damit zu tun, voraus zu sehen, was kommen mag. Je mehr man aufnehmen kann, ob historisch oder tagespolitisch oder sozial, desto besser kann man sich fokussieren. Auf der anderen Seite habe ich eine starke Bindung zu meinen asiatischen Wurzeln, die ich durch das Reisen aktiv halte. Anfänglich war mir das gar nicht bewusst, aber ich schätze, ich bin immer ein wenig auf Spurensuche nach meiner Herkunft. Man muss dazu sagen, dass ich zwar in Deutschland geboren bin, meine Eltern aber aus Indonesien stammen, allerdings eigentlich Chinesen sind. Ich bin also chinesisch erzogen worden, aber keiner in meiner Familie spricht chinesisch.

Das hört sich nach einer sehr intensiven Kulturmischung an, in Deutschland geboren, chinesisch erzogen und sprachlich mit Indonesien verwurzelt: ist es überhaupt möglich, sich da einer Kultur zuzuordnen?
Kulturell würde ich mich als Chinese bezeichnen, greifbarer sind aber natürlich meine indonesischen Wurzeln, allein, weil ich die Sprache spreche. Letztendlich bin ich heimatlos oder... überall zu Hause – je nachdem, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.

Bist Du denn öfter in China?
Ja, sehr regelmäßig. Mich beeindruckt die Kultur und Geschichte, die Artefakte der Kaiserzeit, die alten Städte. Allerdings besuche ich meist nur Business und Mega-Cities, und hier vermisse ich die Freiheit des Individuums. Im heutigen modernen China wird scheinbar alles Individuelle dem Streben nach Wachstum untergeordnet. Jeder geht völlig in der Gesellschaft auf. Das finde ich schwierig.

Wir sitzen hier in Deiner Wohnung, die Du aber effektiv kaum nutzt, weil Du immer unterwegs bist. Wie viel Tage im Jahr sitzt Du wohl im Flieger?
Ich bin wohl derzeit weniger als die Hälfte des Jahres hier. Mein Zuhause bin ich selbst (lächelt). Ich sehe meinen Job ehrlich auch nicht als Arbeit an. Ich mache das, was ich auch privat machen würde. Ich grenze da nicht ab.

Wie trägst du Deine eigenen Erfahrungen, wie etwa Deine Neugier beim Reisen, in die Marke camel active hinein?
Bei camel active ist es ja so, dass die Marke sehr stark mit Klischees behaftet ist. Was gut ist, denn man sieht die Marke und weiß sofort, worum es geht. In meinem Job geht es daher auch weniger darum, diese DNA immer wieder hervorzukehren, sondern vielmehr das, was die Marke so stark macht, für die Zukunft sicher zu stellen. Sie schwebt ein bisschen in Gefahr, out of time zu wirken: dass sie wegen ihrer Zeitlosigkeit aus der Zeit fällt. Als Art Director will ich camel active in einem aktuelleren Licht darstellen, ohne den Wurzeln zu schaden. Und dabei die Klischees auf eine neue Art bedienen, weil sie ein hohes Gut für die Markenidentität darstellen. Dafür muss ich die Köpfe derer, die für die Marke arbeiten, positiv beeinflussen. Das ist mein eigentlicher Job.

Wie machst Du das?
Überzeugungsarbeit leisten (lacht). Ich versuche, sie mitzunehmen, wobei ich auf die unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Levels achten muss. Mit Designern muss man anders reden als mit PR-Agenturen oder Advertising Agencies. Oder dem Vertrieb und den Leuten im Back-Office. Ich versuche jeden, der an diesem Projekt auf seine Weise mitarbeitet, mitzunehmen. Das hat natürlich auch viel mit Kompromissfähigkeit und Teamarbeit zu tun. Die Veränderungen der letzten zehn Jahre zeigen auch, dass wir in der Lage sind, die Marke stets in einem zeitgemäßen Licht darzustellen. Letztendlich geht es darum, dass die Leute, die hinter camel active stehen, stolz auf ihre Arbeit und auf die Marke sind. Das ist in Deutschland eine regelrechte Herausforderung, denn Stolz ist in Deutschland oft nicht erstrebenswert. Bei unseren Lizenznehmern in Asien hingegen ist es eher das Gegenteil. Da feiert man Erfolge viel ausgelassener. Und trotzdem muss ich darauf achten, dass ich am Ende des Tages eine Einheit bilde, nirgendwo zu weit vorausrenne und eher dafür sorge, dass der eine den anderen mitnimmt.

Das hört sich nach viel Vermittlungsarbeit zwischen unterschiedlichen Interessen an... Ein Designer hat ja doch ganz andere Bedürfnisse als der Vertrieb und so weiter. Hast Du einen Trick, den Du dabei anwendest?
Da ich viel mit Menschen und damit automatisch mit Emotionen zu tun habe, ist es wichtig, dass man Standing beweist. Das, wofür ich einstehe, muss Hand und Fuß haben, und bei Diskussionen zählen Argumente. Je fundierter die sind – das hat mit Know-how zu tun, aber auch mit dieser Voraussicht, von der wir eben gesprochen haben – und je besser man das vermitteln kann, desto mehr akzeptieren die Leute neue Wege. Das ist Vertrauenssache.

Bist Du Dir denn manchmal selbst unsicher mit Deiner Glaskugel?
Je länger ich das mache, desto sicherer werde ich natürlich. Inzwischen arbeite ich für verschiedene Kunden mit ganz unterschiedlichen Positionierungen. Trotzdem suche ich aber immer für mich eine allgemeine Schlüssigkeit. Ich muss meine Ideen immer fundiert begründen können. Der Prozess zu dieser Begründung bestärkt mich darin, dass ich richtig liege. Das Ergebnis unterliegt am Ende einer Logik, auch wenn es sich um etwas handelt, was erst in zwei Jahren passiert. Dennoch ist es ein Risiko, Dinge vorauszusehen, die erst in zwei Jahren eintreten sollen. Richtig, aber neben meiner Erfahrung habe ich ja auch immer einen Ausgangspunkt in der Gegenwart, auf den ich mich beziehe. Bei camel active etwa das Thema Heritage. Auf diesen und anderen Werten basiert unsere Arbeit. Das müssen wir immer wieder bedienen und in die Zukunft rechnen. Im Endeffekt ist das alles kein Zauberwerk.

Gibt es denn eine Vision für camel active, auf die Du Stück für Stück aufbaust?
Seitdem ich das mache, ist es meine Vision gewesen, zu internationalisieren, ein Standing herzustellen und dafür zu sorgen, dass wir stolz auf die Marke sind. Ich halte camel active für eine sehr offene, flexible Marke, mit der wir viele Menschen aller Altersgruppen und Lebensstile ansprechen können. Wir müssen es uns nur erlauben und keine Zweifel haben. Meine Aufgabe ist es, diese Zweifel zu nehmen. Outdoor-Kleidung hat sich extrem verändert. Sie ist salonfähig geworden.

Wie nutzt Ihr diesen Vorteil in Eurer Arbeit?
Extrem spannend ist, wie sich zurzeit die Menswear verändert. Schau, wie sich heute Zegna oder auch Nike darstellen, um zwei Extreme zu nennen. Dort werden sehr viele Klischees gebrochen. Sie bedienen sie, stellen sie nur anders dar. Diese Veränderungen erlauben sehr viel Bewegung und machen den Markt auch gerade hochinteressant. Wir können bei camel active froh sein, dass das gerade so ist. Denn das ist ein Moment, in dem sich unsere Marke anders aufstellen kann. Nicht nur bezüglich der Kollektion, sondern auch, was unsere Shootings oder unsere Messeauftritte angeht. Das spielt uns schon in die Hände.

Aber warum entwickelt sich der Markt so?
In der heutigen Zeit ist alles so fixiert, so festgelegt und einordnend. Alles muss in einen Kosmos passen. Da entstehen unweigerlich Randerscheinungen, die ausbrechen wollen. Je mehr Einschränkungen es gibt, etwa aus Produktionsgründen oder weil manche Unternehmen einfach eine extrem hohe Marktdurchdringung haben – denk mal an Global Player wie H & M, UNIQLO oder ZARA –, entstehen Fliehkräfte unter denen, die das nicht wollen. Die sorgen auf der anderen Seite dafür, dass sich Leute darüber Gedanken machen, wie man diese Fliehkräfte wieder sammeln kann und dementsprechend etwas anbieten. Das wird immer ein kleiner Teil von dem sein, was die Masse ausmacht. Aber diese Cluster werden immer größer und können dann auch selbst irgendwann eine Masse werden. Das ist ein Veränderungsprozess, der übrigens auch nicht nur die Mode betrifft, sondern viele Lebensbereiche, etwa Food, Travel, aber auch, wie man Hochzeiten feiert.
Daneben lassen die unsicheren Zeiten durch Klimaveränderungen, Religionskonflikte, Auseinandersetzungen der Großmächte, Wirtschaftskrisen oder neue Technologien viele Leute nach etwas Greifbarem suchen. Denn viele können die Komplexität der Vorgänge nicht mehr aufnehmen. Dann sucht man nach Sachen, die man versteht. Man lässt sich einen Bart wachsen und geht zum Barber-Shop. Das gibt Sicherheit, weil das Tradition hat. Diese Trends finden jetzt statt, und das wird sich auch nicht großartig verändern, weil sich diese Unsicherheitsfaktoren eher multiplizieren, als dass sie abnehmen. Man will Haltung in den kleinen Dingen zeigen, weil man sie in den großen Dingen nicht gewinnen kann.

Bei camel active geht Ihr für Eure Shootings immer an verschiedene Orte. Seit wann macht Ihr das und warum?
Seit ich dabei bin, machen wir das schon. Wobei damals das Kampagnenkonzept auf sogenannte heroes aufgebaut war. Es wurden Persönlichkeiten porträtiert, die in der Art und Weise, wie sie leben und was sie tun, extrem waren. Also Rennfahrer oder Fallschirmspringer, um dieses Individuelle hervorzuheben. Meine Recherche über die Marke damals hatte aber eher das Gegenteil ergeben, nämlich, dass es vielmehr um ein Team ging als um ein Individuum. Also darum, gemeinsam etwas zu erleben. Deshalb habe ich damals auf Themen umgestellt, in denen immer eine Gruppe reist. Wenn man die Kampagnen im Rückblick vergleicht, dann waren sie damals extrem auf Outdoor ausgerichtet. Es ging sehr stark um die drei Buddies, die gemeinsam auf Unternehmung sind. Heute macht das Thema Outdoor nur noch fünfzig Prozent aus, und urbane Themen kommen dazu. Man reist heute auch im Urban Jungle, und es geht dann um den Kontakt mit neuen Kulturen und um Austausch.

Wen man das jetzt auf Gefühle herunterbrechen müsste: Was sollen die Kampagnen auslösen?
Na, man soll weinen. Vor Freude. Und was würde man am nächsten Tag als erstes tun, nachdem man die Kampagne gesehen hat? Man kauft sich ein Flugticket und bricht auf. Diese Emotionalisierung ist in den Videos übrigens noch viel stärker, weil dort die Sprache und die Aktion hinzukommt. Es geht natürlich um Gänsehautmomente.

Was ist denn für Frühjahr/Sommer 2016 geplant?
Im Sommer 2016 heißt die Kollektion „Unknown Path“. Es geht darum, Schritte hin zu etwas zu machen, was man nicht kennt. Man soll seinen Kopf für das Neue öffnen. Für die Kollektion bedeutet das, Dinge zu wagen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht zu camel active passen. Und sie in der Folge dann passend zu machen. Und für die Kampagne heißt das, dass wir vom Land ins Wasser gehen. Wir suchen Sea Gypsies auf, Zigeuner, die schon auf dem Wasser geboren werden und durchgehend in ihren Booten leben. Ihre Augen und ihre Haut sind ganz anders beschaffen. Ihre Küche ist das Meer. Dafür tauchen sie bis zu fünf Stunden lang, jeweils bis zu fünf Minuten am Stück. Wenn sie an Land gehen, werden sie land sick, weil sie den stabilen Boden nicht verkraften. Damit stellen wir diesen Zustand des Nichtkennens dar, so wie die Sea Gypsies das Land nicht kennen.

Wie spiegelt sich das in der Kollektion wider?
Im ersten Liefertermin werden wir mit der Metropolitan Harbour City beginnen, dann kommen wir in ein Fischerdorf, und am Ende sind wir im Meer. Das sieht man dann über die Farbigkeit, die Grafiken und Prints, die eingesetzt werden, und natürlich über Materialität und Finishings. Beim letzten Liefertermin ist alles salty white.

Letzte Frage. Du als Experte: Was musst Du auf Reisen immer dabei haben, damit Du Dich wohlfühlst?
Ach, das ist ganz simpel: meinen Reisepass.

Sonst nichts? Kein besonderes Kissen, Musik, eine bestimmte Reisehose?
(Denkt nach) Eigentlich nicht. Ich setze mich in den Flieger, dann kommt das Abendessen, dann schlafe ich ein und wache zum Frühstück wieder auf. Immer. Deswegen habe ich auch nie Jetlag.

Ich danke für das Gespräch.

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Tags: Camel Active, Joseph Lim, Interview
Interviews
POSTED by Barbara Russ at 09:52
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