Interview mit Dr. Marc Schumacher, Managing Director LIGANOVA

Freitag, 23. Februar 2018
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Liganova.jpgAus J'N'C 1-2018 THE FUTURE OF FASHION RETAIL

Mit Blick auf die Zukunft des Handels und den „Kampf“ zwischen Online- und Offline-Retail-Modellen, betont Marc Schumacher den eklatanten Unterschied zwischen „Shoppen“ und „Einkaufen“.

Die Frage, ob das digitale Shopping bald den Umsatz physischer Shops überflügeln wird, wird in den Medien derzeit immer wieder diskutiert und auch mit Zahlen unterfüttert. Dennoch sind die jeweiligen Experten uneins oder haben eine eigene Agenda. Was ist Ihre Meinung zum Thema?
Ich bin der Meinung, dass die Diskussion, welcher der beiden Kanäle das Rennen macht, die falsche ist. Stattdessen sollten Retailer jeden verfügbaren Kanal gemäß seinen Stärken kundenzentrisch ausrichten. Wir müssen aufhören, das „entweder/oder“ zu diskutieren, sondern ein sinnvolles „und“ finden. Die Motivation der Kunden einen physischen Store zu besuchen wird sich grundlegend verändern. Hier werden die Experience und die Interaktion mit der Marke im Vordergrund stehen. Reine Bedarfsdeckung hingegen wird mehr und mehr online stattfinden. Es wird zwischen „Shopping“ und „Buying“ unterschieden werden müssen.

Stichwort „availability“: Wie wichtig wird es in Zukunft für Hersteller, Labels und Retailer sein, mit ihren Produkten auf allen digitalen Kanälen vertreten zu sein? Welche Plattformen halten Sie für besonders unverzichtbar?
In unserer always on-Gesellschaft wird die Erwartungshaltung der Kunden weiter massiv zunehmen, das heißt, dass alles sofort in jedem Kanal zur Verfügung stehen muss. Diese extreme Verfügbarkeit wird das neue Normal sein. Der Kunde erwartet alles instant.

"Menschen streben mehr nach Sinnhaftigkeit und kreieren mit einem Kauf auch ein Stück Identität."

Gegenfrage: Halten Sie es für möglich, dass Brands gerade dadurch einen Nimbus der Exklusivität erzeugen können, indem sie sich eben NICHT am digitalen Dauerfeuer auf allen möglichen Plattformen beteiligen?
Für bestimmte Nischen und einige hochpreisige Marken aus dem Luxus-Segment könnte diese Strategie funktionieren. Für Marken, die jedoch eine breite Zielgruppe bedienen, eher nicht. Die Käuferschaft von morgen „denkt“ mobile, sie lebt in Social Networks. Ich kann mir z.B. gut vorstellen, dass sie bald auch verstärkt aus diesen Networks heraus einkauft.

Um Emotionen zu erzeugen ist oft vom „storytelling“ die Rede, und auch bei der POS-Präsentation von Produkten gilt „storytelling“ als wichtiges Stichwort. Was halten Sie davon?
In der Gesellschaft ist ein Wertewandel zu beobachten. Menschen streben mehr nach Sinnhaftigkeit und kreieren mit einem Kauf auch ein Stück Identität. Und nachdem kaum noch ein Produkt von nur einer Marke zu bekommen ist, zählt in Zukunft vor allem eine klare Haltung und eben eine „Story“ – aber nicht im Sinne von artifizieller, fingierter Wirklichkeit. Vielmehr muss eine Marke einem Kunden zeigen, dass sie sich in seinen Lifestyle eingliedert, seine Werte teilt und sein Leben bereichert – wenn eine Marke in der Kommunikation rein auf ein Produkt und dessen Features setzt, wird sie es schwer haben.

Ein weiteres Schlagwort ist „experience“ - welche neuen Register kann man ziehen, um ein anregendes Ambiente zu schaffen und Shopping zum Erlebnis oder sogar zum Abenteuer zu machen? Wie sehen Sie generell die Zukunft des POS?
Die Möglichkeiten der Inszenierung sind nahezu unendlich und eine für alle Marken und Produkte gültige Antwort gibt es nicht. Schon allein, weil eine „Experience“ ein multi-dimensionales Konstrukt ist, das die verschiedensten Ausprägungen annehmen kann. Es könnte sowohl ein Überraschungsmoment, aber auch größtmögliche Convenience sein - oder viele, viele weitere Faktoren. Was das also für eine Marke genau bedeutet, bewerten wir stets individuell. Wichtig ist zu verstehen, mit welcher Motivation die Kunden einen physischen Store besuchen werden. Dieses Bedürfnis sollte die Inszenierung der Marke im physischen Retail erfüllen. Wir sind davon überzeugt, dass sich der POS zum Point of Experience transformieren und zum wichtigsten Brand-Shaper innerhalb des Media-Mixes werden wird.

Pop Up Stores gelten als gute Möglichkeit Standorte auszutesten, Event-Charakter zu erzeugen und Kunden zu gewinnen, denen gewisse Labels und Produkte bisher unbekannt waren. Lohnt sich der Aufwand?
Ja, ich denke schon. Pop-Up ist natürlich wieder so ein Label, das ganz bestimmte Assoziationen hervorruft, ich würde eher ganz allgemein von temporären Markenkontaktpunkten sprechen. Ich war z.B. vor kurzem im New York und habe einen temporären Store von Valentino in Soho besucht. Die Marke testet dort für sechs Wochen die Area. Doch auch für kleine, weniger bekannte Marken kann so ein temporärer Store ein guter Einstieg in den physischen Kontakt mit dem Kunden sein.

"Das Smartphone ist in gewisser Weise schon ein Game-Changer."

Große Themen unserer Zeit sind Nachhaltigkeit, Fair Trade und Sustainability. Wie wichtig sind den Kunden derzeit diese Aspekte? Sind Kunden bereit, für ein gutes Gewissen und „the greater good“ Mehrkosten in Kauf zu nehmen? Wie schätzen Sie die Entwicklung dieser Aspekte ein?
Wie ich bereits sagte, denke ich, dass die Kunden nach mehr Sinn und Haltung bei Marken suchen. Da spielen natürlich Nachhaltigkeit oder Fair Trade eine große Rolle, wenn das eben meine konkrete Lebensrealität und Weltanschauung trifft. Wenn der Kaufpreis transparent gestaltet ist und der Kunde versteht, warum das Produkt kostet, was es kostet und es darüber hinaus als Verlängerung seines Selbstbildes nach außen dient, wird er die Mehrkosten bezahlen. Bei der amerikanischen Marke Everlane funktioniert das ja bereits. Hier kann der Kunde im Online-Shop sehen, aus welchen Posten sich der Preis zusammensetzt. Diese Transparenz schafft Anhänger.

Mobile Shopping – das Handy als shopping tool: Innovationen wie etwa Bluetooth Beacons bauen eine Brücke zwischen physischem und digitalem Shopping. Was halten Sie von diesem zweigleisigen System?
Ich glaube, zweigleisig ist hier genau das falsche Wort. Was doch gelingen muss, ist eine nahtlose Verknüpfung von online und offline, und das funktioniert nun mal am besten über das Smartphone, das ja mittlerweile der intimste Gegenstand ist, den wir ständig bei uns haben. Somit ist das Smartphone in gewisser Weise schon ein Game-Changer. Wir müssen nur einen Weg finden, es sinnvoll mit dem Physischen zu verbinden, um in der Konsequenz Vorteile für beide Kanäle daraus zu ziehen.

Das Label Bonobos experimentiert derzeit mit Shops, in denen jedes Kleidungsstück nur einmal pro Größe vorhanden ist. Mit Voranmeldung kann sich der Kunde beraten und sich verschiedene Styles zusammenstellen lassen. Die ausgesuchten Produkte werden innerhalb von zwei Tagen kostenlos versandt. Auch die US-Firma Nordstrom hat ein Konzept entwickelt, das Online-Einkauf und physisches Shopping-Erlebnis vereint, in dem online gekaufte Waren im Shop abgeholt, anprobiert und bei Bedarf auch gleich vor Ort geändert werden können. Was halten Sie von diesen „Hybrid-Verkaufsmodellen“?
Ich halte das für absolut sinnvoll und richtig, weil dabei in gewisser Weise genau auf die jeweilige Stärke von online und offline gesetzt wird – offline für Interaktion und Erleben, online für Convenience und Distribution. Die Produktmenge auf der Fläche wird in Zukunft deutlich reduzierter und kuratierter werden. Mein Besuch im Store wird durch solche Konzepte zielgerichteter, angenehmer und erfolgreicher sein.

Customizing, in-house-tailoring, virtual dressing room - wie schätzen Sie die Relevanz von in-store Zusatzleistungen in der Zukunft ein?
Ich bin sehr gespannt, was da noch auf uns zu kommt. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass Mass-Customization, wie sie z.B. die 3D-Scanner der US-Firma Body Labs ermöglichen, dem physischen Store seit langem einmal wieder einen Technologievorsprung und damit einen klaren USP geben können – zumindest, solange noch nicht jeder diese Technologie zu Hause hat. Das ist eine Entwicklung, die wir sehr genau im Auge behalten sollten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man in Zukunft noch ein Paar Sneakers von der Stange kaufen wird.

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Tags: liganova
Interviews
POSTED by Thorsten Osterberger at 11:04
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